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Wie erleben Jordanier und Jordanierinnen in ihrem Land

und in Deutschland den Krieg in Gaza?

Online-Panel am 29. Februar 2024

Die Deutsch-Jordanische Gesellschaft (DJG) hat in ihrer Stellungnahme zum Krieg im Nahen Osten vom 19. Dezember 2023 deutlich gemacht: „Unsere Forderung an alle Beteiligten zielt ab auf eine sofortige Beendigung aller kriegerischen Handlungen und, in einem ersten Schritt, auf die Einrichtung verlässlicher humanitärer Feuerpausen zur Versorgung der vertriebenen palästinensischen Bevölkerung mit notwendigen Lebensmitteln, Wasser, Energie und medizinischer Betreuung.“ Weiter:

„Als Vertreter der Deutsch-Jordanischen Gesellschaft e. V. sehen wir die große Gefahr, dass die über viele Jahrzehnte gewachsene Freundschaft und Verständigung zwischen der deutschen und der jordanischen Bevölkerung in ihren Grundlagen Schaden nimmt und dauerhaft zerstört wird.“


Einem besseren Verstehen diente das von der DJG am 29. Februar 2024 veranstaltete Online-Panel „Wie erleben Jordanier und Jordanierinnen in ihrem Land und in Deutschland den Krieg in Gaza?“ (in englischer Sprache).

Zwei Jordanier, in Deutschland lebend, sowie eine Jordanierin und ein Jordanier, die in Jordanien leben, waren eingeladen, ihr Erleben des Krieges zu schildern und über ihre persönlichen Gefühle und Reaktionen zu sprechen.

An dem gut besuchten Panel nahmen Mitglieder der DJG, Vertreter der Botschaften in Berlin und Amman, Vertreter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Angehörige der German-Jordanien University und zahlreiche weitere Interessenten teil.


Nach der Begrüßung durch den Präsidenten der DJG startete das Panel.

Die beiden in Deutschland lebenden Jordanier machten deutlich, dass sie sich ursprünglich ganz bewusst für ein Leben in Deutschland entschieden hatten. Deutschland sei für sie ein Modell, geprägt von Respekt, freier Meinungsäußerung, religiöser Vielfalt. Zum Teil fühlten sie sich in dieser Umgebung auch einfach als „Global Citizens“. Allerdings habe sich ihre Einstellung seit dem 7. Oktober deutlich verändert. Natürlich sei für jemanden, der in Deutschland lebt, nachvollziehbar, dass Deutschland eine besondere Geschichte mit jüdischen Menschen und dem Holocaust habe. Diese Verantwortung bestehe aber gegenüber jüdischen Menschen und nicht gegenüber israelischen Regierungen.


Man habe selber Verwandte, Freunde und Bekannte in diesem Krieg verloren, was natürlich das Empfinden zutiefst geprägt habe. Dialog sei sehr wichtig, daher wird versucht, Freunden und Bekannten in Deutschland die ganze Geschichte des seit Jahrzehnten bestehenden Konflikts zu erzählen. Missinterpretationen und daraus resultierende Missverständnisse hätten das Denken vieler Deutscher beeinflusst. Wo sei das Gut der freien Meinung, wenn man, wie ein Panelteilnehmer, auf offener Straße angehalten werde, verhört und fotografiert wurde, und das offensichtlich lediglich, weil man die Kufiya, das palästinensische Kopf- oder Halstuch, trug.


Die einseitige Berichterstattung der meisten Medien trage zu einer aus jordanischer Sicht nicht mehr nachvollziehbaren Meinung vieler Deutscher bei.


Auf diese Weise werde die Westbindung gerade Jordaniens zerstört. Der Westen habe jahrelang seine Werte als hohes Gut vermittelt. Wo seien diese jetzt angesichts des Leids der Zivilbevölkerung nicht nur in Gaza, sondern auch in der Westbank und in Jerusalem geblieben?


Die Sichtweise der in Jordanien lebenden Menschen, so die Panelteilnehmer, sei natürlich durch das täglich erfahrbare Leid in ihrer unmittelbaren Umgebung geprägt. Dieser Gaza-Krieg sei zudem ja nicht der erste seiner Art. 15 Kriege hätten seit der Gründung Israels stattgefunden. Nie jedoch habe es so viele Opfer: Tote und Verletzte, Hungernde und Leidende gegeben.


Dies sei ein Genozid. Man müsse das so benennen. Tägliche Trauer, Gefühle der Hoffnungslosigkeit, ja Panikattacken gebe es seit dem 7. Oktober 2023 bei vielen Menschen. Hoffnungslosigkeit und schwindender Glaube an Humanität prägten das Leben vieler Jordanierinnen und Jordanier. Man nehme in den Mainstream-Medien des Westens eine überwiegend einseitige Berichterstattung wahr. Soziale Medien seien die einzige Form, in der man auch davon abweichende Sichtweisen wahrnehmen könne.


Jordanien sei nicht nur emotional betroffen, sondern in massiver Weise auch wirtschaftlich: Drastische Auswirkungen auf den Tourismus und steigende Preise würden die schon an sich schwierige Lage noch verschlimmern.


Dankbar wurde anerkannt, dass, zumindest in der Deutsch-Jordanischen Gesellschaft Solidarität spürbar sei. Auch die Gemeinschaft der christlichen Kirchen in Jordanien habe diese Solidarität mit Palästina zum Ausdruck gebracht.

Der Blick in die Zukunft schwanke zwischen Gefühlen der Hoffnungslosigkeit einerseits, andererseits aber auch Gefühlen der Hoffnung auf eine sich letztlich durchsetzende Friedensliebe.


In der anschließenden Diskussion äußerten sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Wesentlichen in vergleichbaren Sichtweisen. Es herrschte weitgehend Unverständnis gegenüber dem Auftreten und Handeln der deutschen Politik. Deutschland habe eine Verantwortung gegenüber allen Menschen, die unter Massentötungen litten.

Insbesondere verspiele Deutschland gegenwärtig die so wichtige Beziehung zu Jordanien, die für die gesamte Nahost-Region hohe Bedeutung habe.

Man müsse an vielen Stellen diesen einseitigen Sichtweisen entgegentreten: auf der politischen Ebene, wie kürzlich im Politisch-Parlamentarischen Beirat geschehen. Auch könnte die DJG selber einen „call for ceasefire“ initiieren.


Die deutscher Verfassung lege die Unantastbarkeit der Menschen fest. Dies beträfe alle Menschen.

Kontakte und Begegnungen, sowie das offene Gespräch müssten nun unbedingt fortgesetzt und auf der zivilgesellschaftlichen Ebenen weiter ausgebaut und vertieft werden. Es wurde vorgeschlagen, auch in Jordanien an prominenten Stellen Veranstaltungen mit ähnlicher Konzeption durchzuführen, die andere deutsche Sichtweisen als die aktuell in Politik und vielen Mainstream-Medien vorherrschenden deutlich machen sollten.


Das Online-Panel endete nach über zwei Stunden intensiver Information und Diskussion.