28. November 2023
Reforminitiative in Jordanien:
Demokratie auf dem Vormarsch?
Eine Online-Veranstaltung
der Deutsch-Jordanischen Gesellschaft (DJG e.V.),
organisiert durch die DJG-Regionalgruppe Jordanien
Dr. Amer Bani Amer
Dr. Edmund Ratka
Serena Bilanceri
Die DJG hatte im Rahmen ihrer Online-Veranstaltungsreihe zum Thema „Reforminitiative in Jordanien“ eingeladen. Es nahmen Mitglieder der DJG, Vertreter von Bundesministerien, Universitäten und weitere Interessierte teil. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen hatten die Gelegenheit, von ausgesuchten Experten mehr über Jordaniens Weg zur politischen Modernisierung und den von König Abdullah II. initiierten politischen Reformprozess zu erfahren. Dieser beabsichtigte, die politische Landschaft mit Verfassungsänderungen, neuen Wahlgesetzen und Parteiordnungen zu beleben um so eine dynamischere politische Kultur zu fördern und das bürgerschaftliche Engagement im ganzen Land zu stärken. Dass dies ein mühevoller und langwieriger Prozess ist, zeigten die Panelisten in ihren anschaulichen Erläuterungen zur Situation.
Dr. Amer Bani Amer, Direktor und Gründer des” Al-Hayat Center for Civil Society Development-RASED” und Dr. Edmund Ratka, Leiter des Auslandsbϋros der Konrad Adenauer-Stiftung in Jordanien, stellten sich den Fragen der Moderatorin und freien Journalistin, Serena Bilanceri sowie den TeilnehmerInnen zu dem Reformprozess und den Wahlen allgemein, der geographischen und geostrategischen Lage des Landes sowie den in diesen komplexen Zusammenhängen bestehenden Beziehungen zu Deutschland.
Vorangegangene Wahlen waren von sehr niedrigen Wahlbeteiligungen gekennzeichnet. In der Bevölkerung besteht im Allgemeinen wenig Interesse an politischer Partizipation, dies sollte mit der Einführung eines neuen Wahlgesetztes für die im September dieses Jahres abgehaltenen Parlamentswahlen geändert werden. Das neue Wahlgesetz beinhaltet die verstärkte Förderung von politischen Parteien durch Einführung einer Zweitstimme für politische Parteien sowie eine Erhöhung der Teilnahme von Frauen und der Jugend am politischen Prozess. Dennoch war die Wahlbeteiligung mit 32% der 5,1 Millionen Wahlberechtigten weiterhin eher gering, wenngleich etwas höher als bei den vergangenen Wahlen. Die niedrige Wahlbeteiligung ist u.a. auf die weit verbreitete Unzufriedenheit der Öffentlichkeit mit der desolaten wirtschaftlichen Lage und den steigenden Preisen, sowie auf eine sehr hohe (Jugend-) Arbeitslosigkeit zurückzuführen und auf die Priorisierung zu Fragen der inneren und äußeren Stabilität des Landes. Auch besteht weitgehend Misstrauen gegenüber der Arbeit von politischen Parteien und der des Parlaments allgemein, da dieses aufgrund des Systems einer „autoritären Monarchie mit demokratischen Elementen“ wenig zu einem tatsächlichen Regierungshandeln mit Gesetzgebungsverfahren beitragen kann. Zudem beeinträchtigte die katastrophale Lage in Gaza sowie die starke Anteilnahme der Bevölkerung mit einem Anteil von über 50% palästinensischer Abstammung nicht nur die Wahlbeteiligung, sondern auch den Ausgang der Wahlen.
Die Wahlen am 10. September 2024, die als fair und unabhängig bewertet wurden, fanden in dieser herausfordernden Gesamtlage statt. Aus ihr ging die „Islamic Action Front (IAF)“, der politische Arm der Muslimbrϋder, als stärkste Partei mit 31 von 138 Sitzen hervor. Diese haben sich besonders stark gegen eine weitere Normalisierung mit Israel und für Solidarität mit den Palästinensern eingesetzt, was sich im Wahlergebnis aufgrund des großen Zuspruchs der Bevölkerung widerspielgelt. Inwieweit dieser Wahlgewinn das Land in eine konservativere Richtung treiben wird, werden die kommenden Jahre zeigen. Bemerkenswert ist, dass im Parlament ein erhöhter Anteil von Frauen (27) und Abgeordneten unter 35 Jahren (6), sowie palästinensischer Abstammung (32, vormals 17) vertreten ist und insgesamt 100 Abgeordnete einer politischen Partei zuzuordnen sind.
Die „Identitätsfrage“ (Beziehungen zwischen palästinensisch stämmigen Jordaniern und Transjordaniern) wird auch weiter eine zentrale Rolle für die Stabilität des Landes spielen: „Wir können nicht ignorieren, was in Gaza passiert“. Die Befürchtung einer weiteren „Übernahme der Westbank“ durch Israel stellt eine zunehmende Sicherheitsbedrohung für das Land dar.
Gefragt nach den internationalen Beziehungen wie z.B. zu den USA und Deutschland gehen die Experten davon aus, dass die wirtschaftliche Unterstützung bestehen bleibt, die politisch einseitige Haltung dieser Länder in Bezug auf Israel/Palästina jedoch weiterhin sehr negativ wahrgenommen wird.
Die Ausführungen der Panelisten und die sich anschließende Diskussionsrunde haben gezeigt, dass der begonnene Reformprozess erste Schritte in Richtung politischem Engagement und einer wirkungsvolleren parlamentarischen Regierung gebracht hat, doch ist der weitere Erfolg stark abhängig von inneren und äußeren Faktoren. Politische Parteien müssen klarer strukturiert werden, WählerInnen müssen mehr Vertrauen in die Politik durch transparente Prozesse gewinnen und Grundrechte wie z.B. Meinungsfreiheit auch gewährleistet werden. Eine Schlϋsselrolle für Jordanians Zukunft kommt zudem der Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit und der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation zu.
Besonders hervorgehoben wurde der Aspekt der Stabilität für Jordanien. Diese Stabilität wird in Zukunft einen starken Einfluss auf weitere Demokratisierungsprozesse im Land haben. Auch die deutsche Politik in der Region hat einen immensen Einfluss auf diese Stabilität. Sie liegt somit auch klar im Interesse Deutschlands.
Die DJG bot an, auch in Zukunft eine Plattform für weitere Beiträge und Aktivitäten zu diesem Prozess bereit zu stellen sowie den Dialog mit Parlamentariern in Deutschland zu suchen. Ihre Vorschläge und Anmerkungen richten Sie gerne an: geschaeftsfuehrung@d-j-g.com
Weitere Informationen zu den Panelisten und einigen Veröffentlichungen zum Thema finden Sie bitte hier:
Dr. Amer Bani Amer:
Dr. Edmund Ratka
• Edmund Ratka - Konrad-Adenauer-Stiftung
• Daring More Democracy in Jordan - Foundation Office Jordan - Konrad-Adenauer-Stiftung
• Waren die Wahlen in Jordanien ein Erfolg? | zenith.me
Serena Bilanceri
• Alle Artikel von Serena Bilanceri | taz.de